Schnörkellos in der Schwerelosigkeit
- May 12th, 2013
- Write comment
Oder: Strike Suit Infinity
Die Neunziger waren, wenn man’s ganz drastisch ausdrücken möchte, das Goldene Jahrzehnt der PC-Spiele. Kaum ein Jahr, in dem nicht ein wegweisender Klassiker erschienen ist. Und ein Jahrzehnt, in dem es noch so etwas wie “spielerische Vielfalt” gab. Egal ob Geballer, Rollenspiele, Adventures, Simulationen (ja, diese Spiele mit 300+ Seiten Handbuch), Space-Combat, Rundenstrategie oder -taktik - verglichen mit dem heutigen Shooter-Einerlei war früher einfach mehr los. Aber dank Kickstarter erleben viele totgesagte Spielideen ein unerwartetes, aber nicht unerfreuliches Revival. Zum Beispiel das lange Zeit ausgestorbene “Space Combat”-Genre.
Was vor ein paar Jahren Crysis war, war in den ’90s Wing Commander. Zu einer Zeit, als ein Großteil der PC’s gerade mal 16 Farben auf den Monitor brachte und kläglich aus dem 1-Kanal-Soundbeeper krächzte, zauberten die Wahnsinnigen von Origin eine kunterbunte, sounduntermalte Sternenschlacht auf die Monitore. Die Hardware-Anforderungen waren gigantisch. Zum (ruckelnden) Spielen reichte zwar schon ein 286 DX mit 20 Mhz, aber um das Weltall flüssig und die Cockpitsicht mit allen Details (wie dem sich bewegenden Steuerknüppel) zu erleben, mußte schon mindestens einen flotten 386er auf dem Schreibtisch stehen haben. Und natürlich eine von diesen exotischen Soundblaster-Karten, damit man auch die digitale Sprache hatte. Wing Commander 3 läutete dann großflächig die Pentium-Ära ein, denn unter einem P75 (was ein BIEST!) ging nämlich nix, und ein CD-ROM war auch Pflicht. Aber was schwelge ich in Erinnerungen? Wing Commander, X-Wing, Tie-Fighter, Privateer - all das waren Spiele, in denen ich komplett abgesoffen bin, sehr zum Leidwesen meiner Schulkumpels, die mich nur mit Androhungen von körperlicher Gewalt von ihren PCs wegscheuchen konnten. Als ich dann meinen eigenen PC hatte, kamen dann die -Lancers. StarLancer mit seiner in die ferne Zukunft transportierten Cold-War-Story (die Dreamcast-Version ist übrigens überraschend spaßig ausgefallen und für ‘nen Appel und ‘nen Ei bei z.B. amazon zu haben) oder das schwer von Privateer und Elite beeinflußte Freelancer mit seinem Hochglanz-Weltall. Alles wunderschöne Spiele. Aber dann, vor ein paar Jahren, ging das ganze Genre auf Tauchstation. Jeder wollte nur noch ego-shootern oder was weiß ich, auf jeden Fall kam außer dem ambitionierten und dezent schlafmützigen DarkStar One nix mehr raus. Oh, sorry, natürlich. Da war doch noch was: “Project Sylpheed”, einer DER Nischentitel für die Xbox 360. Space Combat auf japanisch, mit wunderschönen Zwischensequenzen und mehr Neon, als jeder gesunde Mensch verkraften kann. Ich liebe es! Aber abgesehen von DarkStar One und Project Sylpheed war es lange, lange Zeit wirklich duster im All.
Bis plötzlich eine kleine Firma namens “Born Ready Games” einen Kickstarter für ein Spiel namens “Strike Suit Zero” gestartet hat. Die Idee war einfach: Nichts anderes als die Wiederbelebung der guten alten Space Opera wollten sie ausbrüten, natürlich im neuzeitlichen Gewand. Das Resultat war zwiespältig. Die Technik und das Grundkonzept waren töfte. Das Weltall sah selten schöner aus und die Idee, daß das titelgebende Raumschiff eben nicht nur ein flitziger Raumjäger, sondern auch ein BattleMech ist, mit eigenem Flugverhalten und Bewaffnung, war schon eine kleine Sensation. Problematisch wurde es allerdings beim Setting und dem Missionsdesign. “Generisch” wäre noch zuviel des Guten, die Story ist aus dem Space-Opera-Zufallsgenerator. Erdregierung und Kolonien prügeln sich über Artefakte einer Alien-Rasse, Kolonien haben die Oberhand, Erdregierung hat mit dem Strike Suit-Prototyp ein Ass in der Hinterhand. StarLancer hatte fast die gleiche Story, minus dem Suit, aber im Gegensatz zu SSZ gab’s wenigstens dieses klassische “Fliegerstaffel”-Gefühl wie in Top Gun oder Wing Commander. Die Charaktere in Strike Suit Zero sind blaß, farblos und komplett egal. Die Missionen, generell eher selten ein Highlight (wenn man mal vom grandiosen Tie-Fighter absieht), waren in Strike Suit Zero nicht wirklich schlecht, aber teilweise ELEND lang, vor allem, wenn zwischen zwei Gegner-Wellen knapp vier oder fünf Minuten herumgefunkt wurde, nur um die “Story” voranzuprügeln, während man sinnlos von Navpunkt zu Navpunkt turboboosted.
Warum ich so weit aushole? Nun, Strike Suit Infinity, um welches es hier EIGENTLICH gehen soll, bündelt die Stärken von Strike Suit Zero. Anstelle langatmiger, story-getriebener Missionen gibt’s hier nämlich konstant auf die Zwölf. Infinity ist nämlich ein bis auf die Knochen gestrippter, auf Highscores gebürsteter Baller-Klon von Strike Suit Zero. Und um das Fazit gleich vorwegzunehmen: Strike Suit Infinity ist dadurch das bessere Spiel.
Aber zurück auf Anfang. Story gibt’s keine, außer derjenigen, daß man sich in einem Trainings-Simulator für den Strike Suit befindet und möglichst fett Punkte scheffeln soll.
Der Strike Suit (oder DIE Strike Suits, es gibt nämlich insgesamt drei zur Auswahl) sind nämlich interessante und trickreiche Fahrzeuge. Im Jäger-Modus verhalten sie sich vie “klassische” Raumjäger. Flink, wendig, und mit je zwei Kanonen- und Raketentypen bestückt. Sammelt man durch das Abschießen von Gegnern sogenannte “Flux-Energie”, kann man mit einem beherzten Druck auf die entsprechende Taste den “Strike”-Modus aktivieren und der Jet entfaltet sich in einen großen Mech. Allen drei Suits gemein ist das automatische Zielsystem, welches sich auf das nächste Ziel einschwenkt, wenn man denn so möchte. Dann hat der Suit zudem eine Primärwaffe (Schnellfeuerkanone, “Schrot”wumme oder Panzerkanone) und, je nach Gewichtsklasse, mittlere, leichte und schnelle oder torpedoartige Zielsuchraketen. Die Bewaffnung des Suits ist der des Jägers zudem schadensmäßig um mehrere Potenzen überlegen. Da man eh meistens in der Unterzahl zugegen ist, ist das auch bitter nötig.
Das generelle Vorgehen ist dann recht schnell klar. Erstmal mit den Jägerwaffen ein paar Feinde abfrühstücken, genug Flux tanken, sich dann in den Suit verwandeln und so richtig abräumen. In Strike Suit Zero wurde das meist zum Abfrühstücken von Großkampfschiffen oder riesigen Jägerstaffeln bemüht.
Als Score-Shooter belohnt Infinity natürlich das zügige In-Serie-Abfrühstücken von Gegnern, zum einem mit einem Combo-Counter, zum anderen mit Zeitboni, die ebenso wie der Combo-Counter auf einen Score-Multiplikator aufaddiert werden. Zusätzlich interessant wird das Ganze durch das mehr oder minder züfällige Auftauchen von Frachtern und Shuttles, die permanente Powerups und Credit-Boni mitbringen. Mit den Credits kauft man sich zwischen den einzelnen Levels (hier Runden genannt, die aus mehreren Wellen bestehen) Verstärkungen in Form von Jägern und sogar Großkampfschiffen, während die Upgrades die Wendigkeit, Flux-Generation oder Panzerung und Schilde des eigenen Vehikels verbessern. Und ehe man es sich versieht, entstehen komplexe Szenarien.
Mit zwei Kreuzern und einer Rotte Abfangjägern als Verstärkung beginnt die Stage, jedoch kommen in Wave 3 Torpedobomber der Bösen reingewarped. Und nun hat man die Wahl: Combo über alles? Oder lieber doch die eigenen Pötte beschützen, in der Hoffnung, daß sie einem in den späteren Wellen noch den Hintern retten können? Lieber die gegnerischen Großpötte wegbolzen oder doch lieber das nervige Kleinviech?
Zusammen mit dem extrem hohen Spieltempo und der fetzigen Optik macht Strike Suit Infinity sowohl in kurzen Schüben (eine Runde kann man locker in fünf bis zehn Minuten erledigen, zumal kann man bereits geschaffte Runden jederzeit wieder anspringen) als auch über die lange Distanz (von Level 1 bis Infinity eben) einen Heidenspaß. Wiederspielwert ist in zweierlei Hinsicht geboten. Zum einen locken natürlich freischaltbare Upgrades und Waffensysteme, die das Spielgefühl und auch die Combo-Möglichkeiten enorm erweitern (die Railgun im Jägermodus ist so gut, man fühlt sich schon fast wie ein Cheater, verdammt nochmal!), zum anderen lockt natürlich immer der nächste Highscore. Wer keinen Spaß an sowas hat, kann sich die sechs Euro (bei Steam) dann aber auch sparen
Wenn man Strike Suit Zero etwas vorwerfen kann, dann das eher “zweckmäßige” Interface. Gab es bei X-Wing und Konsorten noch wunderschön ausgetüftelte Cockpits mit funktionierenden Anzeigen, muß man in Strike Suit Zero mit einem sehr informativen, aber häßlichen Interface leben, welches auch im Cockpit-View die obere Bildschirmhälfte belegt. Andererseits bemerkt man es ab einer gewissen Spieldauer dann auch nicht mehr groß.
Gesteuert wird übrigens entweder mit Gamepad oder Maus und Tastatur. In jedem Fall sollte man vor dem ersten Flug die Empfindlichkeit der Strike-Suit-Kontrollen um die Hälfte reduzieren, ansonsten fliegt man das DIng nämlich wie ein kokainsüchtiger Pilot im Vollrausch - zittrig und fast unkontrollierbar.
So, um’s nochmal zu sagen: Strike Suit Infinity ist zwar keine großartige Space Opera im Stile eines X-Wing, Privateer oder Wing Commander, aber dafür eine launige Ballerorgie für Fans von Space Operas oder auch japanischen Riesenrobotern. Wer was mit Highscores und Hochgeschwindigkeit anfangen kann, sollte, nein, MUSS hier zugreifen. Hey, sind nur sechs Tacken.
Und mal wieder heißen Dank an meine geliebte Dani, für das Finden und Verbessern einiger wirklich peinlicher Tippfehler. Ahem.