Oder: Ersteindruck The Crew
Bis auf ein paar kleine Macken ist das große Launch-Desaster dankenswerterweise ausgeblieben. Als ich am Montagvormittag das Spiel in die PS4 eingeworfen hatte, tat sich erstmal gar nichts, aber am Nachmittag gingen die Server dann endlich und ich konnte die letzten zwei Tage die virtuellen US von A unsicher machen.
Zuerst zum Technischen: Wo ist das bitte Next-Gen? Die Optik, besonders der Landschaft, strauchelt auf mittelfrühem Xbox-360-Niveau dahin, Häuser, Fassadendetails und ankommende Autos poppen deutlich sichtbar in’s Bild - und wenn ICH “deutlich” sage, müßte das für einen Normalsehenden extra-auffällig sein! Die nicht funktionierenden Spiegel sind ein weiterer Beweis, daß hier vollmundig mehr Next-Gen versprochen wurde, als technisch machbar ist. Welches Rennspiel der letzten zehn Jahre hatte keinen funktionierenden Rückspiegel?!? Die einzige positive Ausnahme sind die Automodelle, die lässig ein Need For Speed aus dem Rennen fegen und dazu noch schön aufmotzbar sind. Aber ehrlich - The Crew kommt optisch zu keinem Zeitpunkt an das originale Forza Horizon heran. Das war auch Open World und sah hübscher aus.
Gut, man kann ein halbes Auge zudrücken, weil es seit “FUEL” keine so gewaltige Spielwelt gegeben hat, aber auch hier merkt man, daß getrickst wurde. Da wurden Städte einfach ohne organischen Übergang in die Landschaft gekloppt. Wenn man z.B. nach dem versteckten Autoteilen in und um Washington DC sucht, wird man schnell sehen, was ich meine.
Die Story - soweit ich nach knapp drei Tagen Dauerzock sagen kann - kommt nicht über einen zweitklassigen “Fast&Furious”-Racheplot hinaus, aber ich habe das Gefühl, die Story soll eh nur den Kontext für das Dauervollgas liefern. Das tut sie allemal, auch wenn ich die asozial-unsympathischen Auftraggeber und die ultracoole, natürlich total scharfe Boss-Schnitte zum Kotzen finde. Gehört das auch zum Street-Racer-Handbuch? “Mache möglichst unsympathische Gegenspieler?” Jedes Need For Speed seit Underground, Midnight Club 3 und LA und auch Forza Horizon haben die gleichen übercoolen, auf alles herabguckenden Mistkerle (und -tussis). Wäre doch mal schön, auch ein paar nette Gegenspieler zu treffen, die einfach nur mal rumheizen wollen, ohne gleich alles und jeden in Grund und Boden zu dissen.
Ach ja: Ubisoft, muß das sein? SCHON WIEDER Microtransaktionen? In “The Crew” kann man sich mit Echtgeld “The Crew”-Credits kaufen. Theoretisch. Praktisch scheint das mit dem gleichen System zusammenzuhängen, in dem auch der Season Pass und die Vorbesteller-Codes laufen. Meinen Mini hab ich bis heute nicht gesehen, und eine kurze Recherche im Ubi-Forum hat bestätigt, daß die Codes zwar funktionieren, aber noch kein Inhalt dahintersteckt. Man hat aus dem Driver-SF-Debakel von vor drei Jahren wohl nix gelernt… Und ich habe das Gefühl, daß die Autopreise künstlich aufgebläht wurden, um den Verkauf dieser Credits anzukurbeln. Ein Corvette ZR1, selbst eine Z06, gilt gemeinhin eigentlich als “Budget-Supercar”. The Crew will dafür fast eine halbe Million “Bucks” sehen - oder knapp 100.000 Crew-Credits. Wenn man bedenkt, daß man pro Mission - selbst mit Bonus-Prozenten - selten mehr als 2000 Bucks sieht, kann man sich ja ausmalen, wie lange man da braucht.
So, jetzt ist genug mit Gemecker. Nachdem man sich ein wenig eingefuchst (und in den Steuerungsoptionen die Lenk-Empfindlichkeit auf ca. 75% und die Stick-Deadzone auf ca. 20% eingestellt hat), geht das Rasen prima von der Hand und erinnert in den Momenten, wenn man von der Leine gelassen wird, stark an ein Skyrim auf vier Rädern. Ich habe viel Zeit damit verbracht, in den ersten beiden Regionen die Satellitenschüsseln und versteckten Autoteile zu suchen, und das frißt pro Region schon mal gerne zwei bis drei Stunden, selbst wenn man von der Schnellreisefunktion Gebrauch macht. Kleiner Tip nebenbei: Jedes erreichbare Wahrzeichen (die komischen Obelisken) anspringen. Warum? Jedes von denen gibt 2000 “Bucks”, und ich hatte nach einer knappen halben Stunde genug Kohle für meinen Nissan Skyline (100.000 Bucks) zusammen.
The Crew packt einen schnell bei den Sammeltrieb-Eiern. Jede erledigte Mission wird mit Bucks, Erfahrungspunkten und einem Ersatzteil für (meist) das aktuell benutzte Fahrzeug belohnt. Erfahrungspunkte wandern in den Fahrerlevel. Jede Stufe schaltet sogenannte “Perk-Punkte” frei, mit denen man diverse Fähigkeiten aufwerten kann. Besseres Handling für alle Autos, dickere Belohnungen für Missionen etc. Das Problem hierbei sind die recht dünnen Auswirkungen. Pro Punkt in “Bessere Bremsen” gibt’s einen 1%-Boost in der Bremsleistung, und nach fünf Prozent ist Schicht. Bei vierstellingen Fahrzeugwerten machen sich 10 oder 20 Punkte nicht wirklich bemerkbar.
Da hat man mehr von den Ersatzteilen. Es gibt für eine Vielzahl interner Systeme (Aufhängung, Getriebe, Luftfilter, Auspuff etc. ) Upgrades, die man nach erledigten Missionen einstreichen kann. Wie gut das entsprechende Teil ist, hängt zum einen von seiner Stufe ab (ein Level-10-Auspuff ist schlicht besser als ein Level-1-Auspuff), zum anderen aber auch, wie gut man in der Mission oder dem Skill-Test abgeschnitten hat. Erfolg wird in Bronze/Silber/Gold-Medallien gewertet, und ab Silber haben die Ersatzteile noch zufällig ausgewürfelte Extraboni (wie z.B. ein Auspuff mit Beschleunigungs-Bonus). Diese Boni sind meist gut genug, um die einfache “Höherer Level=besser”-Gleichung aus den Angeln zu heben.
Das System hat einige Tücken: Man bekommt im normalen Spielbetrieb meist nur zu sehen, ob das Teil den Level des Autos positiv oder negativ beeinflußt, was als grobe Entscheidungshilfe zwar ganz nett ist, aber nicht die Allheil-Lösung darstelt. Ich bin bereits an mehrere Missionen geraten, in denen mein Auto theoretisch weit überlevelt war, aber praktisch habe ich nur den Staub meiner Gegner gefressen, weil zwar Fahrwerk und Getriebe toll waren, aber viele Teile, die Boni auf Beschleunigung oder Endgeschwindigkeit geben (wie Luftfilter, Auspuff oder der Steuerchip) noch auf Level 5 oder so waren.
Die Gummiband-KI der Mitstreiter macht es nicht immer ganz einfach einzuschätzen, ob man einfach schlecht fährt oder das Auto mal wieder ein paar Upgrades braucht. Nitro hin oder her - wenn mein Auto knapp 100 Levels über der Mission liegen und mich die KI-Kollegen TROTZDEM Staub fressen lassen, muß irgendwo der Gummiband-Wurm drin sein. Andererseits ist die KI auch so nett, sich schon mal selbst abzuschießen. Gegenverkehr und Kurven können die KI-Kumpels nicht so wirklich.
Hm, ich klinge schon wieder ziemlich meckerig. Will ich eigentlich gar nicht. Ich mag die riesige Spielwelt. Ich mag die Tatsache, daß man abseits der Story so viel machen kann - Sightseeing z.B. ist erstaunlich lehrreich, da jedes Wahrzeichen noch ein wenig Hintergrundtext hat (den man allerdings erst manuell aufschalten muß). Die Suche nach den versteckten Autos (bzw. dem Auto, in verschiedenen Versionen, soweit ich das gesehen habe) motiviert auch ordentlich, und wie ich schon erwähnte, finde ich das Konzept eines Raser-Pseudo-Rollenspiels vollkommen großartig. Ein Extra-Lob verdient dann doch nochmal das Missionsdesign - man macht nie eine Sache für lange, und dank diverser Leih-Kisten bekommt man recht schnell schon einen Überblick, wie sich z.B. ein auf Raid gebürsteter RUF oder ein bis unter die Schweller mit PS und Grip vollgepackter Ford GT fahren. Mir persönlich liegt die Dirt-Spec meines Skylines ziemlich gut - damit sind herrliche Drifts und Powerslides möglich. Zu schade, daß man nicht jede Kiste beliebig aufmotzen darf. Gewisse Fahrzeuge haben nur eine oder zwei Spezialisierungen (wie z.B. der Aston Martin, den es nur als Performance-Version gibt - und die Fabrikausgaben zähle ich nicht mit). Aber auch sonst ist der Fahrzeug-Baukasten recht ordentlich. Es gibt für jede Spec eine ganze Handvoll Anbauteile, mit denen man den Look seiner Karre personalisieren kann - und ich mag sowas. Nicht ganz so exzessiv wie z.B. ein Midnight Club, aber umfangreicher als Forza oder die letzten NFS-Teile, was ja keine Kunst ist.
Der Online-Part ist erstaunlich unaufdringlich. Man kann mit einem Klick fast jedes Story-Event als Coop-Mission aufmachen, und wildfremde Leute zu einer Crew zusammenzusammeln klappt ausgezeichnet - wenn denn mal jemand antwortet. Aber ich schätze, im Moment will jeder erstmal solo rumheizen und sein Traumauto stricken. Bin auf jeden Fall gespannt wie ein Flitzebogen, wie eine Coop-Runde mit den üblichen Verdächtigen abgehen wird.
Na dann, mehr Vollgas bitte!