Heute: Metal Gear Rising: ReVengeance
Man kann an das neue Metal Gear auf zweierlei Arten herangehen:
Entweder, man sieht es als storytechnischen Nachfolger zum großartigen Metal Gear Solid 4 und wird fürchterlich enttäuscht, weil das Gameplay zu 99% aus Hochgeschwindigkeitsgeschnetzel besteht, oder man freut sich, daß Platinum Games (die Herrschaften, die uns schon mit Bayonetta und Vanquish beglückt haben) eine neue Highspeed-Wundertüte auf die Menschheit losgelassen haben.
Ich gehöre definitiv zu Verfechtern der letzteren Denkweise. Man könnte auch lapidar sagen, daß Metal Gear Rising das Metal Gear für Leute ist, die sonst mit Metal Gear nix anfangen können. Immerhin gilt Metal Gear Solid neben Thief (oder “The Dark Project” zu den Klassikern des Stealth-Genres, und auch wenn Hideo Kojima in den letzten Jahren den reinen Schleich-Anteil ein wenig gegen Shooter-Action eingetauscht hat, sind die MGS-Spiele doch eher was für Leute mit Geduld. Nicht nur, daß in den Spielen methodisches Schleichen und geduldiges Anpirschen belohnt wird, nein, man muß auch einiges an Sitzfleisch besitzen, um die teilweise ausufernden Cutscenes und Dialoge durchzustehen. Ich persönlich hab nix gegen lange Zwischensequenzen, vor allem, wenn sie so schön inszeniert sind wie bei Metal Gear Solid 3, und ich finde auch Kojima’s Auseinandersetzung mit der Kriegsthematik im Großen und Ganzen sehr gelungen, aber es gibt eben auch genug Leute, denen das einfach zu viel des Guten ist.
Warum sollte man sich denn als MGS-Nicht-Spieler an Metal Gear Rising setzen? Ich stelle einfach mal ein paar Gegenfragen:
Magst du schnelle Actionspiele mit superknackiger Steuerung und einem wirklich fairen, ausgewogenen Schwierigkeitsgrad?
Magst du Ninjas? Am besten bis unter die Haarspitzen vercybert?
Haben dir Bayonetta und Vanquish gefallen?
Wenn zumindest zwei der drei Fragen mit “Ja” beantwortet wurden, kannst du eigentlich gleich losgehen und dir das Spiel (wenn möglich als PS3-Version) in’s Regal stellen. Oder besser: In die Konsole legen und für die nächsten Wochen nicht rausnehmen
Sollte man die anderen Spiele aus dem Metal-Gear-Universum bis jetzt verschmäht haben, bietet Metal Gear Rising zudem einen brillianten Einstiegspunkt.
Hauptcharakter der Handlung ist Jack, auch besser bekannt als “Raiden”. Raiden ist ein Cyborg im Dienste von Maverick Solutions, einer privaten Sicherheitsagentur (oder PMC, auf neudeutsch). Sein Job am Anfang des Spiels ist es, einen afrikanischen Präsidenten zu beschützen, der sein Land aus einem blutigen Bürgerkrieg geführt hat. Kurz vor den Feierlichkeiten zur Beendigung des Konflikts, auf einer Tour durch die Stadt, wird der Maverick-Konvoi von Unbekannten angegriffen, die den Präsidenten entführen. Also wetzt man als Raiden hinter den Entführern her und versucht, den Mann zu retten.
Mehr zu erzählen, würde einen Großteil der Story spoilern, daher nur soviel: Raiden bekommt ordentlich auf die Mütze und schwört blutige Rache. Und, bei den Göttern, der Mann hält sein Wort.
So weit, so banal. Was sich liest wie der Aufhänger für jeden beliebigen Taktikshooter, ist hier der Beginn einer Hochgeschwindigkeits-Schnetzelei, wie man sie in dieser Form bisher noch nicht zu sehen bekommen hat. Raiden verzichtet nämlich fast komplett auf ballistische Totmacher und läßt lieber sein Schwert sprechen. Und diese Waffe, ein sogenanntes “High Frequency Blade”, dessen Klinge mehrere Tausen Mal pro Sekunde vibriert, schneidet alles. Zumindest alles, was die Gamedesigner als “schneidbar” deklarieren. Autos, Panzer, Frachtcontainer - und natürlich Gegner in allen Varianten. Die Zerstörung, die man innerhalb von Sekunden verursachen kann, ist unglaublich und läßt fast sogar die ach so dolle Frostbite-2-Engine (Battlefield) alt aussehen.
Und im Gegensatz zu den verschiedenen Ninja Gaidens muß man keine kilometerlangen Move-Listen auswendig lernen. Zwei Knöpfe (für leichte und harte Attacken) reichen aus, um Raiden in einen verchromten Allesschneider zu verwandeln.
Ein nettes Gimmick, was Metal Gear Rising über einen simplen Button-Mascher erhebt, ist der sogenannte “Blade Mode”. Mit einem Druck auf L1 wird das Geschehen verlangsamt und man kann die Schlagrichtung und -Winkel der nächsten Attacke gezielt vorgeben, was z.B. dazu benutzt werden kann, um gezielt Schwachstellen seiner Gegner anzugehen oder sich mit neuer Energie zu versorgen.
Metal Gear Rising rationiert nämlich die Heil-Gegenstände, die man mit sich führen kann. Es gibt zwar sogenannte “Nano-Repair-Paste”, mit der man einen Teil seiner Gesundheit wiederherstellen kann, aber diese Dinger funktionieren eigentlich eher wie Extraleben. Es ist viel effizienter, sich seine Energie bei seinen Gegnern abzustauben. Mit fortschreitender Kampfdauer füllt sich die Energieleiste unter dem Lebensbalken. Wird sie blau, kann Raiden einen sogenannten “Zandatsu”-Schlag durchführen - wenn man den “Blade Mode” aktiviert, wird die Schwachstelle des Gegners sichtbar. Zerschneidet man ihn an besagter Stelle, kann man eine Taste drücken, und Raiden reißt dem Gegenüber (die übrigens auch alle Cyborgs sind) die eingebauten Reperatursysteme raus und absorbiert sie, wodurch Lebensenergie und Blade-Mode-Saft wieder vollständig aufgeladen werden.
Dadurch bekommen die teilweise massiven Schlachten eine enorme taktische Tiefe. Anstelle mit der Steuerung zu hadern, überlegt man sich stattdessen, in welcher Reihenfolge man seine Gegner erledigt - gewisse Gegnersorten lassen sich mit einem einzigen “Zandatsu” erledigen und agieren daher eher als wandelnde Medipacks, andere Gegner müssen erst mühsam “weichgeklopft” werden, bevor sie ihre blau leuchtenden Innereien hergeben.
Ein Extralob bekommt das Spiel für seine Bosskämpfe. Zum einen sind die Bosse, auch wenn sie im Großen und Ganzen zur Kategorie “Cyborg” zählen, abwechslungsreich und irrsinnig designt, und zum anderen sind es tatsächlich BossKÄMPFE, und keine glorifizierten Quick-Time-Events. Die gute, alte Schule regiert. Muster auswendiglernen und gegenhalten. Auch wenn die letzten zwei Phasen des finalen Bosses sehr auf “Plot Armor” setzen, gibt es keinen wirklich “schlechten” Bosskampf. Jeder Boss ist mit ein wenig Tüftelei und schnellen Reflexen zu erledigen, und es gibt mehr als nur einen richtigen Weg, um an’s Ziel zu kommen. Neben seinem Schwert erhält Raiden im Lauf des Spiels noch ein paar Nebenwaffen, die den “harte-Attacke”-Knopf belegen. Es gibt einen Kampfstab (aus den Cyberarmen unglücklicher Gegner gebaut, don’t ask), mit dem sich herrlich große Gegnermengen zerstreuen lassen, einen magnetischen Sai-Dolch (man denke an Raphael von den Ninja Turtles) und ein paar großer Schneidklingen, sowas wie eine überdimensionierte Rettungsschere, die sich formidabel dazu eignet, selbst schwer gepanzerte Gegner ungespitzt in den Boden zu klopfen. Der Sai-Dolch ist ganz klar mein Liebling. Zum einen lähmt er Gegner mit einem bösen Stromstoß, zum anderen kann sich Raiden mit der Magnetfunktion dieses Teils wie Spider-Man an seine Gegner heranziehen und ihnen so richtig auf die Mütze geben - besonders nützlich bei der Menge an fliegenden Mistviechern, die einem den Tag versauen.
Technisch ist Metal Gear Rising eine Wucht. Klar, es gibt “hübschere” Spiele, aber ich habe in letzter Zeit kein Spiel gesehen, das so schnell und flüssig gelaufen ist und dabei noch so viel kaputtbare Umgebung bietet wie dieses. Wenn man will, kann man bis auf die ganz großen Strukturen (Häuser, viele Mauern) wirklich ALLES kurz und klein hobeln, und das ist in meinen Augen einfach grandios. Die Schlachtfelder sehen nach einem heißen Gezoffe tatsächlich aus, als ob hier sechzehn Cyborgs mit Raketenwerfern und Schwertern alles kurz und klein gehauen haben. Klar, aus Performance-Gründen werden die Trümmer dann irgendwann weggeblendet, aber es gibt einfach nix Cooleres, als einen angreifenden Hubschrauber in 350 Teile zu zerhächseln.
Der Sound ist ebenfalls großartig. Die englische Sprachausgabe ist klassisch Metal Gear Solid. Raiden wird von seinem üblichen Voice Actor, Quinton Flynn, gesprochen, und der Mann macht seinen Job als eiskalter Robo-Ninja echt großartig. Der Rest des Cast steht dem kaum nach, auch wenn der obligatorische Schwarze klischeehafter kaum sein könnte. Aber ein wenig Übertreibung gehörte ja schon immer dazu, daher stört das auch nur marginal.
Richtig fantastisch ist die Musik geworden. In den ruhigen Momenten (ja, sowas gibt’s auch) klingt Metal Gear Rising sehr nach den klassischen Metal-Gear-Spielen, mit ominösem Synth-Gewaber, das die Spannung gut hochhält. In den Kämpfen und vor allem den Boss-Showdowns allerdings geht’s richtig ab. Passend zur Near-Future-Cyber-Thematik mischt der Soundtrack auf grandiose Weise melodiöses Speed-Metal-Geschredder mit elektronischen und orchestralen Einsprengseln. Und die Gitarren packen einen so heftig, daß man sich wirklich zwischen Headbanging oder Ass-Kicking entscheiden muß, denn beides geht wirklich nicht.
Die Metal-Gear-Solid-Fangemeinde dürfte mittlerweile mit weißem Schaum vor’m Mund dasitzen und fragen, was das alles denn bitte mit “SNAAAAAAAAAAKE!” zu tun hat. Trotz aller Innovationen, trotz des ganzen Schwertgeklirres, haben es Platinum Games geschafft, das Spiel so zu verpacken, daß es ein logischer Teil des Metal-Gear Universums ist. Von optionalen Stealth-Möglichkeiten über den klassischen “ALARM!”-Sound bis hin zu (ebenfalls optionalen) Codec-Konversationen und herrlichen, langen Cutscenes (die man aber jederzeit skippen kann, wenn man sich nicht in Raiden’s Awesomeness suhlen will) ist viel dabei, was die klassischen Metal-Gear-Solid-Spiele auszeichnet. Das hier ist kein halbgarer Reboot, sondern ein sehr respekt- und liebevoll programmierter Spin-Off, der jedem Fan von sowohl Metal Gear Solid als auch superschnellen Actionspielen begeistern dürfte.
Wie sieht’s mit dem Wiederspielwert aus?
Metal Gear Rising hat in der Fachpresse und in diversen Foren schon gehörig Flak kassiert, weil es zu den kürzeren Spielen gehört. Allerdings nur, wenn man zu den Leuten gehört, die ein Spiel einmal zocken und es dann weglegen. Der erste Durchgang, mit allen Cutscenes, sollte zwischen sechs und acht Stunden dauern. Aber wie Bayonetta und Vanquish vor ihm, gehört Metal Gear Rising zu den Spielen, die man immer und immer wieder zocken kann. Zum einen gibt’s die mittlerweile obligatorischen Sammelobjekte - in Form von VR-Missionen, Datenspeichern und - passend zur Schnitzel-Thematik - linken Händen. Zum anderen gibt’s jede Menge neue, freischaltbare Schwerter. Und last but not least besitzt Rising ein ziemlich umfangreiches Upgrade-System. Für gute Leistungen im Kampf gibt’s “Battle Points”, und diese kann man jederzeit gegen neue Skills, eine längere Lebens- und Energieleiste und Verbesserungen für die ganzen Waffen eintauschen. Nach einem Durchgang hat man bei weitem noch nicht alles freigespielt. Und damit die aufgelevelten Waffen auch was nützen, gibt’s noch zwei weitere Schwierigkeitsgrade, an denen man sich versuchen kann.
Ich bin jetzt in meinem vierten Durchgang und werde wohl noch ein paar dranhängen.
Aber was laber’ ich? Auf Xbox Live und PSN gibt’s die Demo. Angucken und staunen.
Für Actionfans ein klarer Must-Have-Titel. Für Metal-Gear-Fans ebenfalls. Und überhaupt. Ich muß weiter, Cyborgs wegklopfen. Man sieht sich!
Oh, und heißen Dank an Dani, die einige ziemlich heftige Tippfehler weggeschnetzelt hat!