Review: Driver San Francisco (Xbox 360)
Ich sehe schon einige meiner Leser überrascht die Augenbrauen wölben. “Hat Beast das nicht erst am Donnerstag bekommen?” Yup, stimmt. Und ich hab das ganze Wochenende bis jetzt neben ein wenig Deus Ex fast nix anderes gemacht, außer durch San Fran zu kesseln und die (fantastisch erzählte) Geschichte um Tanner’s Jagd nach dem Fiesling Jericho durchzuspielen. Und einen Großteil der optionalen und sehr spaßigen Nebenmissionen hab ich immer noch nicht fertig. Aber eins nach dem anderen.
Story:
In Driver San Francisco geht es primär darum, als Undercover-Cop John Tanner den flüchtigen Fiesling Charles Jericho wieder dingfest zu machen. Problem an der Sache: In der allerersten Mission des Spiels wird Tanner von Jericho schwer verletzt und fällt ins Koma. Also spielt ein Großteil der Story eigentlich in Tanner’s Kopf, wodurch auch die für’s Spiel extrem wichtige Shift-Mechanik rationalisiert wird. Es klingt verrückt, ist aber sehr clever inszeniert und kommt zu einem sehr nachdenklich machenden Finale.
Hat man die erste Mission hinter sich gebracht und die Shift-Fähigkeit bekommen, wird man auch schon mehr oder minder komplett von der Leine gelassen. Man bekommt ungefähr ein Drittel der Metropole San Francisco (die anderen beiden Drittel werden im weiteren Verlauf freigeschaltet und ergeben eine Karte, gegen die Midnight Club LA wie ein Kuhdorf wirkt!) und sieht erstmal ein paar bunte Icons. Kleine blaue Rauten sind sogenannte “Dares”, also kleinere Mutproben, große blaue Rauten sind etwas involviertere optionale “Activities” und dann gibt’s noch große gelbe Scheiben, die wiederum die Hauptmissionen darstellen. Eine feste Reihenfolge gibt es nur insofern, daß man erst neue Hauptmissionen zu sehen bekommt, wenn die bereits vorhandenen abgefrühstückt sind, und nach einer gewissen Anzahl der Hauptmissionen pro Kapitel eine oder zwei finale Missionen, die dann wieder die Erzählung aufnimmt. Man kann sich entweder erstmal mit den ganzen optionalen Missionen austoben, was die Ingame-Währung (Willenskraft) und die Freischaltung von Upgrades und Autos bringt, oder sich gleich auf die Storymissionen stürzen, die neben einigen wirklich schönen Cutscenes auch weitere Regionen von San Fran freischalten. Oder man kesselt einfach in einem der unzähligen Autos durch die Stadt und richtet ein heilloses Chaos an. Nebenbei kommt natürlich auch Driver nicht ohne eine “Sammelqueste” aus - im ganzen Stadtgebiet sind Filmrollen verteilt, für deren Einsammeln man mit besonderen “Movie Challenges” belohnt wird, die an Verfolgungsjagden aus klassichen Siebziger-Krimis angelehnt sind. Aber zu den einzelnen Challenges später mehr.
Technisch macht Driver San Francisco eine im Großen und Ganzen tolle Figur, vor allem, wenn man die Größe der Stadt und den unglaublich dichten Verkehr berücksichtigt, der zu jeder Zeit den Asphalt ausfüllt. Hin und wieder ploppen mal ein paar Texturen oder Objekte in’s Bild, und Schatten sehen manchmal arg gepixelt aus, aber das fällt in dem ganzen Metallwust, den man in einer typischen Spielsituation oft an der Backe hat, kaum in’s Gewicht. Zudem bleibt die Framerate bis auf wenige Aussetzer stets hoch, egal wie viel Verkehr, Trümmer oder geplatzte Hydranten grade im Bild sind. San Francisco ist wunderschön nachgebaut (obwohl ich natürlich bis auf die Transamerica Pyramid oder die Brücke kaum die Sehenswürdigkeiten der Stadt kenne) und bietet neben der sehr symmetrisch aufgemachten Innenstadt die zum Weitsprung einladenden Russian Hills, die Docks, jede Menge Offroad-Strecken in Forest Hill oder lässiges Am-Meer-Entlangcruisen an den Docks.
Die Soundkulisse ist ebenfalls klasse. Der Soundtrack versucht nicht auf Teufel-komm-raus modern oder “hip” zu sein, stattdessen regieren sehr siebziger-angehauchte Funk-, Soul- und Bluesklänge, mit ein bißchen gegenwärtiger Rock- und Electromucke als Kontrastpunkte. Die Automotoren klingen zumeist passabel bis geil (die Käfer und Typ-1-Bullis haben sogar den charakteristischen “Nagel”-Sound an Bord), allerdings klingen einige der High-End-Kisten ein wenig zu zahm und synthetisch, was besonders bei einem Krachmonster wie dem McLaren F1 auffällt. Die englische Sprachausgabe ist prima, mit motiviert und lebendig klingenden Sprechern, die deutsche Tonspur ist zumindest hochgradig besetzt (mit u.a. Tilo Schmitz (Hellboy) in einer Nebenrolle) und kompetent vorgetragen.
Spielerisches: Um’s gleich vorweg zu sagen: Die Shift-Funktion verändert die Herangehensweise an ein Rennspiel auf gradezu schockierende Art. Wozu wie ein Blöder hinter einem fliehenden Verbrecher herheizen, wenn man genausogut kurzerhand aus dem Auto rauszappt, sich einen schön schweren Truck im Gegenverkehr sucht und den Fiesling damit frontal von der Straße kicken kann? Oder man stelle sich folgendes Szenario vor: An vier (weit voneinander entfernten) Enden der Stadt wurden gleichzeitig Autos geklaut, die aber alle gleichzeitig bei einer Auktion verkauft werden sollen. Was tun? Anstelle eine Ewigkeit durch die Stadt zu gurken, zappt man einfach aus dem Polizeiwagen raus, zoomt ganz weit nach draußen, so daß die halbe Stadt unter einem liegt, und wechselt in grade mal fünf Sekunden den Ort. Dann bringt man den Wagen dahin, wo er hin soll, zappt wieder raus und fluppt in den nächsten. Würde man auf “konventionelle” Weise durch die Stadt kesseln, könnte man das Zeitlimit niemals einhalten. Und bei den reichlich vorhandenen Ramm- und Jagdmissionen ist es natürlich von Vorteil, nicht penibel genau auf den “Gesundheitszustand” des eigenen Autos achten zu müssen. Wagen kaputt? Egal, es gibt noch Hunderte auf der Straße!
Die größte Leistung, die man Reflections aber hoch anrechnen muß, ist dies: Sie haben es geschafft, eine geniale, fast schon an der Grenze zum “Cheat” geparkte Spielmechanik einzubauen, ohne daß das ganze Spiel entgleist. Klar, kaum eine Mission ist ohne Shift zu beenden, aber grade WEIL die Missionen mit dieser Fähigkeit im Hinterkopf designt wurden, fühlt man sich nie komplett overpowered. Entweder sitzt einem ein straffes Zeitlimit im Nacken, oder man muß trotz Shift die Mission mit einem bestimmten Fahrzeug abschließen. Und wenn man mal genug vom Shiften hat, kann man auch problemlos eine der Movie-Challenges spielen, in der ganz klassisch, ohne Tricks und doppelten Boden, nur das fahrerische Können in hochgezüchteten Muscle Cars zählt.
A propos “Tricks und doppelter Boden”: Tanner lernt mit zunehmender Spielzeit immer neue Möglichkeiten dazu, seine Fähigkeiten einzusetzen. Neben Shift bekommt man recht früh im Spiel noch die “Boost”-Funktion dazu, mit der man jedem Auto einen schicken Geschwindigkeitsschub geben kann. Und im Finale (nach einer ganzen Menge schön psychotischer Nahtoderfahrungen) kann man sogar mit Autos werfen. Klasse!
Sehr schön ist auch die Lern- und Schwierigkeitskurve geraten. Die ersten Missionen sind vergleichsweise zahm, was Verkehr, Streßfaktor und Anspruch angeht. Es gibt wenige wirklich nervige Momente (eine Mission im hinteren Drittel des Spiels, in der man von Dutzenden verrückt gewordener Autos “angefallen” wird und heil einen Zielpunkt erreichen muß, dürfte das für mich härteste Stück gewesen sein), der Großteil der Missionen fällt unter “angenehm dosiert”. Die Herausforderung ist da, erreicht aber selten absurd heftige Ausmaße. Und wenn man von einer Nebenmission die Nase voll hat, locken immer noch genug andere Ablenkungen, um ein wenig Dampf abzulassen.
Das Fahrverhalten der Autos fällt definitv in die “Arcade”-Kategorie, mit einer heftigen Dosis “Drift”. Die Handbremse ist bei den ganzen US-Muscle-Kisten fast noch wichtiger als das Lenkrad :). Schön ist, daß die Autos angenehm gewichtig auf der Straße liegen, selbst ein Pagani Zonda Cinque fühlt sich bei Vollgas nicht wie ein Stück Seife auf der Straße an, sondern regiert durchaus vorhersehbar auf Gas und Bremse. Der Fuhrpark ist, wie schon in meinem Ersteindruck erwähnt, angenehm vielfältig - vom europäischen Kleinwagen über (natürlich) alles, was auf US-Straßen Rang und Namen hat, bis hin zu asiatischen Sportflitzern und einer beachtlichen Flotte Lastwagen und Bussen und einer großzügigen Dosis Supercars (McLaren, Lamborghini, Pagani, RUF und Aston Martin fallen mir da spontan ein) gibt’s reichlich Zeug zum Freispielen.
“Aber Beast, warum sollte man denn bitte Autos freispielen, wenn man doch eine ganze Stadt mit Autos voll hat?” Nun, netter Frager aus dem Off, weil viele der optionalen Challenges durchaus leichter und spaßiger werden, wenn man anstelle eines klapprigen Dodge Monaco einen Audi R8 in ein Straßenrennen mitbringt. Und weil der Algorithmus, der die Straßen mit Autos bevölkert, so manches Mal ziemlich lange braucht, bis man den Supersportwagen für das soeben anstehende Checkpointrennen spawned. Daher kann man sich für gewonnene Willenskraft so nach und nach den gesamten Fuhrpark freikaufen (immerhin über 120 Karren) und jederzeit in einer der im Spiel vorhandenen Garagen auswählen.
Die Missionen und Mutproben sind breit gefächert und bieten neben klassichem Futter wie Rennen und Verfolgungsjagden auch Stunt-Missionen, in denen zum Beispiel Fahrlehrer durch möglichst halsbrecherische Manöver erschreckt werden sollen, Team-Races, in denen man per Shift zwei Fahrer aus dem gleichen Rennstall zu einem 1-2-Finish verhelfen muß, oder eine Mission, in der man für einen Nachrichtenreporter jede Menge verrückter Fahrmanöver hinlegen darf; sogar eine Art “Tower Defence”-Mission gibt es, in der man einen havarierten Polizeiwagen vor ankommenden Gangstern schützt, indem man selbige per mit Shift gekaperten Autos möglichst weit vom Unfallwagen entfernt von der Straße pustet. Dazu noch jede Menge Minigames wie Weitsprünge, Drift-Herausforderungen und reichlich Varianten des Themas “Vollgas”, egal ob mit bestimmten Fahrzeugtypen oder unter bestimmten Umständen. Zu tun gibt’s in Driver massig.
Der Multiplayer fühlt sich - dank Shift - erstaunlich frisch an, obwohl die Spielmodi durch die Bank weg alte Bekannte sind. Klassische Rennen sind natürlich mit von der Partie, aber so richtig fetzig wird es, wenn acht Irre hinter einem DeLorean herkesseln, um in seinem Fahrwasser wild rüpelnd Punkte zu scheffeln oder man in einem Capture-The Flag-Spiel immer aufpassen muß, ob vielleicht einer der Wagen im Gegenverkehr plötzlich von einem böswilligen Gegenspieler “bewohnt” wird und im nächsten Moment frontal in einen reinkrachen wird. Auch sehr schön übrigens finde ich die Qualifikationsrunden vor jedem Match, in denen die Startaufstellung festgelegt wird. Man bekommt eine Aufgabe vorgesetzt (Rasen oder Driften oder Springen oder Autos überholen) und wer in 30 Sekunden die meisten Punkte in dieser Aufgabe erledigt hat, bekommt die Pole und damit auch einen definitiven Vorteil im Gerangel. Simpel, aber elegant.
Was ich am Multiplayer allerdings vollkommen idiotisch finde, ist das mittlerweile echt zur Seuche gewordenen XP-System. Warum, Ubisoft, muß ich erst zehn Levels machen, bevor ich Zugang zu allen Playlists habe? Was ist, wenn ich mit jemandem spielen will, der eben noch NICHT so viel Zeit wie ich in den Multiplayer gesteckt hat? Grade in einem Rennspiel ist das eine so dermaßen blödsinnige Idee, mir fehlen die Worte. Was mich auch ärgert, ist dieses “Playlist”-System. Warum darf ich nicht exklusiv “Classic Racing” spielen? Warum ist jedes zweite Match einer dieser nervigen “Sprint GP”, in denen die Konkurrenz mehr rüpelt als rast? Genauso mit “Trailblazer” und “Tag”. Hoffentlich ändert Ubisoft das noch um, so daß man sich auf einen Eventtyp festlegen kann.
Naja, ich hoffe jetzt erstmal, daß die ganzen positiven Reviews die üblichen Verdächtigen (kame, Wolly, Dori, onkl) dazu anstiften können, sich Driver San Fran zuzulegen, damit man mal mit ähnlich tickenden Leuten rumkesseln darf. In guten Partien liegt der Spaßfaktor mit einem Midnight Club LA oder Burnout Paradise auf Augenhöhe, aber der Frust bei unnötig rumpöbelnden und -rempelnden fremden Spinnern erreicht grade bei den auf Rennen ausgelegten Events gerne Rekordwerte.
Dieses Jahr war für Rennspieler ja recht dünn (sieht man mal von D(LC)irt 3 ab), aber Driver San Francisco ist wie Regenschauer im Sommer - überraschend erfrischend und wohltuend. Es hat noch einige Ecken und Kanten, an denen man sich stoßen kann (Puristen werden über Shift wahrscheinlich die Nase rümpfen, aber Actionfans dürften es lieben), den Großteil macht es aber 100%ig richtig. Mich hat es bei den Eiern gepackt, ich habe einen Heidenspaß beim Rumdüsen durch SF und habe dafür sogar mein heißgeliebtes Xenoblade Chronicles abgesetzt. Das muß ein Spiel erstmal schaffen
Hey, und bevor ich es vergesse: Entgegen dem aktuellen Trend, bei Rennspielen an Kameraperspektiven zu sparen, bietet Driver SF neben den Standards (Hinter dem Auto, Motorhaube, Stoßstange) noch eine für jedes der 120+ Autos detailgetreue und funktionierende Cockpitperspektive und eine zwar selten nützliche, aber spaßige ThrillCam, mit der man spektakuläre Manöver wie Drifts, Sprünge auf kinoreife Art festhalten kann. Und dann gibt’s noch den unglaublichen Film-Editor, mit dem man seine eigenen Highlight-Reels schnippeln kann. Im Gegensatz zur Konkurrenz (PGR, Forza), wo man als höchstes der Gefühle mal die Kameraperspektive ändern darf, kann man hier fröhlich alle Parameter des Replays modifizieren, von der Kameraplatzierung über Schnitt-Timing, Effekte usw. Wäre ich nicht zu faul (und zu paranoid), mir einen Ubisoft-Account zu erstellen, könnte ich Euch schon zwei leckere Clips zeigen. Mal sehen, vielleicht die Tage mal.