Entweder ist es Wunschdenken, oder es gibt ein kleines Cyberpunk-Revival. Zum einen gab’s da erst kürzlich die exzellenten Takeshi-Kowacs-Romane von Richard K. Morgan (der u.a. auch das Script für Crysis 2 und ein paar Miniserien für Marvel geschrieben hat), dann der Doppelschlag Daemon und Dark Net von Daniel Suarez, und dann natürlich nicht zu vergessen das im Großen und Ganzen fantastische Deus Ex: Human Revolution (360), welches ich kürzlich fertig gespielt habe. (noch 62 Spiele :))
Zur Story: Deus Ex: Human Revolution (oder kurz DX und/oder HR) dreht sich um Adam Jensen, seines Zeichens Ex-Cop und Sicherheitschef beim Kybernetik-Konzern Sarif Industries. Kurz vor einer wichtigen Präsentation in Washington wird Sarif’s Detroiter Hauptquartier von einer Söldnertruppe angegriffen, das Entwicklerteam hinter der ganzen High-Tech getötet und Jensen selbst so schwer verletzt, so dass ihm nur eine fast vollständige Total-Augmentierung das Leben retten kann. Schneller Vorlauf: Nach sechs Monaten Reha wird Jensen frühzeitig wieder aktiv, als ein weiterer Vorfall über Sarif Industries hereinbricht - diesmal ein Terroranschlag von Cyber-Gegnern mit einhergehender Geiselnahme. Jensen soll - sozusagen als Testlauf - vor der SWAT reingehen, einen sensiblen Prototypen bergen, wenn möglich die Geiseln retten und den oder die Geiselgangster ausschalten.
Und das ist das Setup für eine darauffolgende, knapp 20 Stunden dauernde Tour de Force. Das Spiel gibt sich redlich Mühe, den Charakter in der Welt zu verzahnen, man hat oft die Möglichkeit, durch Dialoge bestimmte Ereignisse in Gang zu setzen oder Konfrontationen zu vermeiden, es gibt haufenweise Entscheidungsfreiheit, aber so konsequent wie z.B. ein Mass Effect geht Deus Ex HR mit den Konsequenzen der Entscheidungen nicht um, was leider eine vertane Gelegenheit ist.
Achtung! Wer sich nicht das Ende versauen will, skippe bitte den nächsten Absatz. Danke.
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Die Geschichte ist generell toll erzählt, es gibt einige überraschende Twists im Verlauf, und doch bin ich mit der Auflösung nicht wirklich zufrieden. Zum einen wird dem großen, philosophischen Thema (Dürfen Menschen sich mit Technik aufbrezeln, wo ist die moralische Grenze etc.) am Ende die persönliche Note untergeordnet, immerhin will Jensen ja herausfinden, was mit den Leuten von Sarif - und seiner Flamme - passiert ist. In den Endings geht es aber fast prinzipiell nur darum, in wie weit jetzt die Augementationstechnik reglementiert werden soll. Und der Weg, wie die Endings realisiert wurden, stößt auch ein wenig bitter auf, denn nach einem wirklich fulminanten Bossfight gibt’s nur besseren Multiple-Choice-Auswahlschalter? Wirklich schade, da hätte man, insbesondere durch Verwendung der im Spiel getroffenen Entscheidungen, viel mehr draus machen können.
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Technik: Gleich eins vorweg: Ich mag die Ästhetik des Spiels. Der Fokus auf warme Gold- und Brauntöne hebt Deus Ex angenehm vom grauen Shooter-Einerlei ab. Es steht zwar irgendwie im krassen Kontrast zu der Tatsache, daß Cyberpunk eigentlich möglichst dreckig und abgefuckt sein sollte, aber die Gegenüberstellung der schon fast steril hochklassigen Firmen-Innenräume bei Sarif und den vergammelten Hintergassen ein paar Straßen weiter funktioniert dennoch. Die Unreal-Engine zaubert schöne Stadt-Szenarien ebenso auf den Bildschirm wie klinische Laborgänge und muffelige Kanalisations-Tunnel, das berüchtigte Texturen-Nachladen findet gottlob kaum statt, und das Einzige, was man DX im optischen Department etwas ankreiden könnte, sind die manchmal etwas klaustrophobisch klein geratenen Straßenzüge. Im Gegenzug gibt’s in Deus Ex wahrscheinlich mehr interaktive Elemente pro Quadratmeter als in jedem anderen Shooter dieses Jahr.
Weiterhin ist das Spiel tendenziell zu dunkel, was vor allem in den (schönen) Cutscenes massiv auffällt. Ich hab meinen TV eh schon ca. 5% über Standardhelligkeit, aber in einigen der CGI-Sequenzen sieht man außer den Gesichtern nicht viel. Und auch einige der Spielabschnitte sind zu dunkel. Da wäre es cool gewesen, wie im ersten Deus Ex eine Sichtverbesserungs-Augenoptimierung einbauen zu können, aber das haben die Entwickler leider verpennt.
Soundtechnisch ist Deus Ex fast perfekt. Der Soundtrack aus unterkühltem Sequenzer-Geblubber in den Cutscenes, minimaler Musik im normalen Spielverlauf und fetten Beats im Kampfgetümmel paßt wie die Faust auf’s Auge und ist für mich ein echtes Atmosphären-Plus. Auch schön: Man kann schon am Musik-Level erkennen, wie deutlich (oder eben nicht) man von der Umwelt wahrgenommen wird. Elegante Lösung.
Die Sprachausgabe ist ein zweischneidiges Schwert. Die DE-Version von Deus Ex wird leider exklusiv nur mit einer deutschen Tonspur ausgeliefert, und das hat zwei ärgerliche Konsequenzen. Punkt eins: Wie schon bei Fable III oder Dragon Age klingt die Sprachausgabe irgendwie heruntergerechnet, als hätte man die Sprachfiles auf 128k-Samplerate runtergedampft, um Platz zu sparen. Hört man dank der guten Hintergrundsoundkulisse nur selten, aber ich finde es enorm störend. Der weitaus größere Atmosphärenkiller ist aber das komplette Fehlen jeglicher Lippensynchronität. Die Gesichtsanimationen der Charaktere ist mittlerweile so gut, daß es mir enorm störend auffällt, wenn Jensen was sagt, dann Pause macht, während sein Screen-Gesicht fröhlich weiterplappert. Und da die Dialogsequenzen noch recht “klassisch” geschnitten sind, also mit viel Fokus auf das Gesicht, stört das umso mehr. Sehr schön zu sehen z.B. wenn man später in China unterwegs ist. Dort wurden nämlich nur wenige Charaktere nachsynchronisiert, die Mehrheit spricht Mandarin, und da fallen die deutsch sprechenden Leute umso mehr aus dem Rahmen.
Außerdem leidet Deus Ex (zumindest in der gehörten Version) extrem am “Oblivion-Syndrom”. Es gibt also grade für die Statisten nur zwei oder drei Sprecher, die sich dann recht schnell wiederholen und den “Eintauch-Faktor” ziemlich dämpfen.
Aber von diesen Punkten abgesehen machen die Sprecher einen für eine deutsche Synchro beeindruckenden Job, vor allem Jensen hat man spitzenmäßig besetzt.
Nur Mr. Sarif fällt mit seiner polterigen Art irgendwie hinten runter.
Gameplay: Ganz basisch gesehen ist Deus Ex ein First-Person-Actionspiel mit leichten Rollenspiel- und nicht so leichten Stealth-Elementen. Wer bei “Stealth” allerdings an das akribische “an-Gegnern-vorbeihuschen” eines Sam Fisher denkt und sich grausend abwendet, kann beruhigt weiterlesen. Es gibt keine “drei Alarme, dann Game Over”-Szenarien. Vielmehr ist der Frontalangriff meist die aufwendigste, weil Munitions-intensivste und gefährlichste Herangehensweise. Trotz all seiner Cyber-Implantate ist Jensen kein Terminator, sondern eher eine Glaskanone, mehr als fünf, sechs Direkttreffer kann er selbst mit voll ausgebauter Dermalpanzerung nicht ab. Deswegen ist es üblicherweise cleverer, sich durch Verwendung von hackbaren Türen, Terminals und Computern einen taktischen Vorteil zu schaffen. Oder man kann - mit dem richtigen Upgrade - strukturschwache Wände ausmachen und aufknacken, um alternative Routen freizulegen (und nebenbei noch leckere Boni mitzunehmen). Oder man krabbelt durch die reichlich vorhandenen Lüftungsschächte und knipst die Wachen durch Betäubungspfeile durch Lüftungsgitter aus, was in zwei von drei Fällen leiser ist als letale Gewalt.
Aber selbst wenn es hart auf hart kommt, kann man immer noch das exzellente Deckungssystem benutzen. Taktisch klug postiert, kann man sich an einer Gang-Ecke oder neben einer Tür einer ganzen Übermacht erwehren. Und auch bei der Auswahl der Schießprügel steht das Motto “Choice” ganz, ganz weit oben. Jede Waffe im Spiel (bis auf zwei “Wegwerf-Schießprügel”) lassen sich mit Upgrades verändern, sei es in den Kategorien Muni-Kapazität, Schaden, Ladegschwindigkeit oder Feuerfrequenz. Aber jede Waffe besitzt darüber hinaus auch ein ganz spezielles Feature, daß durch ein Upgrade freigeschaltet wird. Sei es der Doppelschuß der Schrotflinte, die diese Nahbereichswaffe von “böse” zu “fürchterlich” aufwertet, der “Panzerknacker”-Aufsatz, der aus einer der recht unspektakulären Pistole den ultimativen, lautlosen (dank Schalldämpfer-Upgrade) Robot-Killer macht oder das “Zielsuchende-Todesnadeln”-Upgrade für die MP. Ich hab den Fehler gemacht, mir alle taktischen Türen offenhalten zu wollen. So hab ich bis auf die ganz, ganz großen Prügel fast alle Waffen im Inventar gehabt, was kostbaren Stellplatz gefressen hat. Aus Erfahrung kann ich jetzt behaupten, es reicht, wenn man die Pistole, den Taser und eine Mittelstreckenwaffe (wie das Sturmgewehr, das Betäubungsgewehr oder die MP) mit sich führt und bei Bedarf mit schweren Waffen nachrüstet.
Bevor ich weiter auf die Level-Struktur komme, gibt’s einen kurzen Exkurs zu Jensen’s Verstärkungen. Wie im Story-Abschnitt bereits erwähnt, gibt’s kaum ein Teil an ihm, welches nicht notgedrungen vercybert worden ist. Um den Spieler nicht vor vollendete Tatsachen zu stellen oder feste Loadouts vorzuschreiben, wird das inkrementelle Freischalten der Hardware über “Praxis-Punkte” bemüht, so daß man nach und nach erst das volle Spektrum von Jensen’s Fähigkeiten freischaltet. Und selbst beim akribischen Durchspielen, beim Mitnehmen aller Sidequests und Bonus-Erfahrung, wird man am Spielende nicht genug Punkte haben, um alles benutzen zu können. Man muß also schon recht früh überlegen, worin man seine kostbaren Punkte investiert. Schön ist jedenfalls, daß sich die Lebensenergie automatisch regeneriert und auch die erste Energiezelle (die die aktiven Fähigkeiten mit Strom versorgt) lädt sich dankenswerterweise von selbst auf, man steht nie ohne Saft da, wie es im ersten Deus Ex öfters mal der Fall war.
Es gibt ein paar Spezialitäten, die auf jeden Fall ganz weit oben auf der Einkaufsliste stehen sollten. Der sogenannte “Sozialoptimierer” erlaubt es zum Beispiel, per Stimmanalyse die “Hebelpunkte” in den Gesprächen mit NPCs zu entdecken und sie dann gezielt einzusetzen. Mindestens ebenso wichtig sind die Upgrades für das Hack-System. Lief das “elektronische Einbrechen” in den ersten Deus-Ex-Spielen darauf hinaus, spezielle Werkzeuge zu benutzen, so ist das Hacking hier ein richtiges, ziemlich involviertes Minispiel. Um dort wirklich frustfrei arbeiten zu können, sollte die “Hacktarnung” ganz weit vorne auf der Liste der Upgrades stehen - die macht es nämlich erheblich leichter, in den reichlich vorhandenen hackbaren Systemen zu werkeln, ohne daß man Alarm auslöst.
Die Liste der Upgrades ist ziemlich umfangreich, von HUD-Upgrades, die das Sichtfeld der Gegner anzeigen, einen Röntgenblick gewähren oder einen Alarm-Timer bringen, über eine Art Jetpack, mit dem Stürze aus großen Höhen nicht mehr tödlich sind (und das nebenbei eine tolle Offensivwaffe darstellt) bis hin zu Cyberpunk-Standards wie Superstärke, Blitzkompensation, Hautpanzerung, Rückstoßdämpfern und Zielsystemupgrades hat Jensen alles an Bord, was der Straßensamurai so gerne sein Eigen nennen möchte.
Und je nach gewählten Upgrades wandelt sich eben auch die Herangehensweise, mit denen Gegner und Hindernisse in Levels angegangen werden. Hat man seine Cyberarme mit erhöhter Stärke aufgemotzt, kann man zum Beispiel oft schwere Kisten oder gar Getränkeautomaten bewegen und dahinter Luftschächte oder Gegenstände auftun - und der Coolness-Faktor, in einem Feuergefecht hinter einem mitgebrachten Getränkeautomaten Deckung zu suchen, hat auch was. Oder man macht sich einfach für fünf Sekunden unsichtbar und flutscht an einem Checkpoint vorbei. Macht natürlich besonders viel Sinn, wenn man vorher noch in schallgedämpfte Sohlen investiert hat, damit man im Normaltempo ungehört laufen kann. Oder man kapert einen Sicherheitsterminal und benutzt die Geschütze und Bots, die die Gegner routinemäßig aufstellen, gegen ihre Vorbesitzer.
Was mir in diesem Zusammenhang positiv auffiel, war die Interaktivität der Umgebung. Ich konnte zwar nicht wie bei Duke Nukem mit einem Edding auf ‘ner Flipchart rumsauen, aber fast jeder Raum hat Schubladen, Schreibtische, E-Books, PDA’s, Kisten und andere Objekte, die man entweder durchsuchen oder auch durchaus als Kletterhilfen oder Impromptu-Deckung verwenden kann. In diesem Zusammenhang seien auch die teilzerstörbaren Umgebungen erwähnt. Fast jedes interaktive Teil in der Umgebung kann unter genug Feuer kaputtgehen, was bsonders ärgerlich ist, wenn grad keine andere Deckung zur Hand ist.
A propos “Umgebung”: Im Gegensatz zu so ziemlich allen Ego-Shootern der letzten Monate sind die Levels in Deus Ex keine Schläuche, sondern schöne Areale, die mit reichlich Alternativrouten gespickt sind. Natürlich gibt’s einen Anfangs- und einen Endpunkt, aber man hat durch die Bank weg mehr Auslauf. Und ebenfalls entgegen aller Trends gibt’s sogar ein verdammt gutes Karten- und Wegpunktsystem, inklusive der Möglichkeit, bestimmte Aufgaben ein- und auszublenden. Denn Deus Ex bietet abseits der Hauptstory noch reichlich Futter, um sich in der Welt auszutoben. Wer mit den reichlich herumstehenden NPCs quatscht, wird über kurz oder lang eine ganze Liste an Nebenquests an der Hand haben, die sich parallel durch die Handlung ziehen. Praktischerweise hat man jedes Mal, bevor man die Region wechselt, die Möglichkeit, noch nicht Erledigtes abzufrühstücken oder sich noch ein wenig umzugucken, ob man nicht doch noch was findet.
Die Gegner sind selbst auf dem untersten der drei Schwierigkeitsgrade ziemlich auf Zack, haben ein erstaunlich gutes “Sensorium”, daß auch Auffälligkeiten wie fehlende Kumpane oder Geklapper in einem Luftschacht wahrnimmt. Außerdem gehen sie ziemlich zügig in Deckung oder - besonders ärgerlich - holen betäubte Kameraden wieder auf die Füße. So entwickelt sich jeder Einsatz ab einem gewissen Punkt zu einem spannenden Katz- und Maus-Spiel. Wer will, kann sich natürlich auch hinter einer Deckung verschanzen und mit krachenden Wummen alle Gegner wegputzen, aber das ist sooooo gewöhnlich. Die Schießerei ist kompetent gelöst, selbst ohne Upgrades ist Jensen ein guter Schütze (im Gegensatz zu seinem Deus-Ex-1-Gegenstück JC Denton) und kann problemlos aus der Hüfte oder nach Druck auf den rechten Stick auch über die Visiere linsend ballern.
Fazit: Fantastische Atmosphäre, eine teilweise tiefgründig-moralische Geschichte, ein tolles “Mittendrin”-Gefühl und kompetente Spielmechaniken zeichnen Deus Ex: Human Revolution aus. Dazu noch eine üppige Spielzeit an der 20h-Marke und mehr Entscheidungsfreiheiten, als man es in diesem Zeitalter der Casualisierung gewohnt ist. Negativ stößt mir die lustlose Lokalisierung (Lippensynchonität, Klangqualität) und der arg gezwungene Schluß auf, aber das sind nur Kratzer im Lack dieses goldverchromten Cyber-Monsters. Und Cyberpunk soll ja dreckig und abgefuckt sein.