Staub, Kellerverliese und einige interessante Gedanken zu Spieletests
- July 28th, 2011
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Zuerst: From Dust.
Ich mag die Aufmachung, die Optik und den ganzen “erinnert an Populous 3″-Faktor. Die Idee, durch das strategische Verschieben von Wasser, Sand, Stein und Lava dem eigenen Stamm zu helfen, ist wirklich cool, und zu sehen, wie sich die Spielwelt dynamisch verändert hat was unglaublich Erhebendes. Was mich allerdings schon in der zweiten Mission mächtig angepisst hat, war die zum Teil doch recht fitzelige Steuerung. Dafür, daß ich einen so großflächigen Cursor habe, ist das Platzieren von Sand oder Lava ein echter Schmerz. Verschiedene “Pinsel” hätten das sicher etwas gemindert. Und dann gibts da noch diese heftigen Zeitlimits, die einen extremst unter Druck setzen. Ist es in der zweiten Mission “nur” die Tsunami-Warnung, muß man schon einen Level später einen regelmäßig wiederkommenden Tsunami, einen konstant ausbrechenden Vulkan, dessen Lavamassen rein zufällig auf mein Dorf zusuppen UND heftig schwankende Wasserstände jonglieren. Es sollte nicht ganz so schwer sein, ein Gott zu sein. Aber ich kann mich der faszinierenden Atmosphäre dieses Spiels nur schwer entziehen.
Daß ich es dennoch kann, liegt an meinem aktuellen Durchzock-Kandidaten, Dungeon Siege III. Und im Zusammenhang mit diesem Spiel sind mir einige interessante Gedanken zum Thema “Spieletests” gekommen, insbesondere, wie sehr doch die empfundene Realität vom projizierten Eindruck abweichen kann.
Aber eins nach dem anderen. Dungeon Siege III ist der dritte “offizielle” (es gibt noch ein ziemlich schickes PSP-Spinoff) Sproß einer als Diablo-Killer angedachten Action-RPG-Serie. Dungeon Siege habe ich damals recht ausgiebig gespielt, aber obwohl es Diablo in einigen Dingen weit voraus war (echte 3D-Grafik, 4-köpfige Party, sehr flexibles Skill-System, viele Komfortfunktionen wie Tragetier oder automatisch sortierbares Inventory), fehlte ihm dieser gewisse “Sog-Faktor”, den gute Diablo-likes haben sollten. Es war zuviel Partymanagement, zu wenig Monster-totlklicken. Dungeon Siege II ist ziemlich exakt in meine PC-freie Zeit gefallen, daher kann ich dazu nix sagen.
Und jetzt haben Gas Powered Games, die eigentlich die Dungeon-Belagerer sind, die IP an Obsidian abgetreten, die daraus einen wirklich ansehnlichen Hacker und Slasher gemacht haben. Ja, genau, die gleichen Obsidian, die dank KotoR 2, Neverwinter Nights 2 und Fallout New Vegas den nicht grade schmeichelhaften Ruf als “IP-Zweitverwerter” inne haben und dank der doch ziemlich verbuggten Fallout- und Alpha-Protocols auch nicht unbedingt als Qualitätsgaranten gelten. Aber ich wiederhole mich diesmal sogar gerne. Dungeon Siege III ist ein absolut spaßiges Spiel. Und damit stelle ich mich ziemlich gegen so ziemlich alle Spielereviews, deren Grundtenor auf ein “generisch, langweilig, mieser Multiplayer und kurz” hinausläuft. Gut, was den letzten Knackpunkt angeht, kann ich noch nicht viel sagen, habe ich doch erst gute 5 Stunden im Spiel verbracht, deswegen muß das noch warten.
Worum gehts? Als einer von vier Helden spielt man den mehr oder minder legitime Nachkommen einer heldenhaften Truppe, der Zehnten Legion, die einst als Leibgarde des Königshauses für Recht und Ordnung gesorgt haben. Diese Zehnte Legion wurde dann vor knapp 30 Jahren in Verruf gebracht und von einer Möchtegern-Heiligen namens Jayne Kassynder vernichtet. Und nun sammeln sich die Überlebenden und Nachkommen, um dieser Braut und ihrem Plan, das Königreich komplett zu übernehmen, einen Riegel vorzuschieben.
Das Spiel macht unglaublich viel richtig. Die Grafik, auch wenn keine Technik-Granate, sieht einfach schick aus, grade die Material-Effekte auf Wasser, schleimigen Sumpfpflanzen oder staubigen Fliesen wirken sehr plastisch und verleihen dem Spiel zusammen mit den schönen Charaktermodellen einen deutlich vom Comic-Torchlight abgegrenzten Look. Die Sounduntermalung wirkt ebenfalls stimmig, anstelle vom massiven Orchesterbombast eines Dragon Age gibt es hier größtenteils verhaltene Streicherarrangements, die mich ein ums andere Mal frappierend an die Musik von Arcanum (dem Steampunk-/Magie-Crossover-RPG) erinnert, dazu gibt’s eine schöne, unaufgeregte englische Tonspur mit passend gewählten und motivierten Sprechern. Und das war bis jetzt nur die technische Seite.
Die Spielmechaniken finden eine gesunde Balance aus dem bisher Bekannten und einigen eigenen oder in einem Action-RPG eher selten gesehenen Ideen.
Punkt eins: Kämpfe sind weit weniger statisch als aus z.B. Torchlight gewohnt. Einfach rumstehen und Monster totklicken klappt hier nicht. Die Gegner sind flink, aggressiv und hauen teilweise mächtig durch. Rechtzeitiges Blocken oder Weghechten sind hier absolut zwingend. Damit rückt das Kampfsystem schon fast in Actionspiel-Nähe.
Punkt zwei: Die Helden sind erheblich stärker definiert als in vergleichbaren Titeln. Ich sehe hier eine interessante Parallele zu Darkspore. Anstelle Talentbäume im Mammutformat anzubieten, in denen man sich böse verskillen könnte, hat jeder der vier Helden zwei Kampfhaltungen, denen jeweils drei Attacken zugeordnet sind. Puristen werden jetzt wahrscheinlich mit den Augen rollen und “CASUAL-MIST!” schreien, aber ehrlich gesagt reicht das vollkommen aus. Jede Kampfhaltung, jede Fähigkeit hat eine klar definierte taktische Relevanz, und durch das stetige Aufwerten der Ausrüstung (und damit der Kampfwerte, was wiederum auch dem Schaden der Specials zugute kommt) werden die Diablo-üblichen Duplikate mit höherem Schaden sowieso unnötig. Einfaches Beispiel: Der Schwertkämpfer Lucas. Eine Kampfhaltung benutzt Einhandschwerter und Schilde für viel Schaden gegen einzelne Gegner, der große, böse Zweihänder wird gegen Gruppen ins Feld geführt. Im Einhandbetrieb habe ich einen Move, der meinen Gegner betäubt und für einen Moment handlungsunfähig macht, einen, um schnell in’s Gefecht und wieder raus zu kommen, und einen High-Damage-Finisher. Im Zweihand-Modus gibt’s einen flächendeckenden Sturmlauf, eine Projektil-Attacke für Fernkampf- und Flieger-Neutralisation und einen flächendeckenden High-Damage-Finisher. Und dann gibt’s noch ein paar nützliche Buffs - einen Heal-over-Time, einen Panzermodus und einen Regenrationsbuff für die Spezialenergie. Alles da, was ein Frontschwein braucht
OK, dadurch verliert natürlich das Herumbasteln beim Level-Aufstieg etwas an Bedeutung, das wird aber dadurch gemildert, daß man immerhin noch passive Boni verteilen kann, mit denen man die Specials an seine Bedürfnisse anpassen kann.
Drittens gibt’s ein sehr komfortables Quest- und Wegfindungssystem. Questlogs sind ja nix Neues mehr, aber sobald man ein Quest aktiv geschaltet hat, kann man sich jederzeit einen Wegweiser einblenden lassen. Die Levels sind zwar recht schlauchig, aber grade in den verwinkelten Katakomben oder dem Sumpf-Level war es sehr nützlich, so eine Navigationshilfe zu haben. Und wer nicht will, muß ihn ja nicht benutzen.
Im Gegensatz zu nahezu allen Hack’n'Slash-Kandidaten der letzten Zeit hat man ab einem gewissen Punkt immer einen Begleiter an seiner Seite. Und angenehmerweise spielt die KI wirklich stark auf. Wir erinnern uns sicherlich noch mit Horror an die Diablo-II-Schergen, die gerne bis zum Ableben an einem Gegner geklebt haben. In Dungeon Siege 3 halten meine bisher freigespielten Gefährtinnen (eine Magierin und eine mit Schußwaffen herumwerkelnde Hexe) immer schön brav Abstand zu den Mobs, bewegen sich taktisch klug und machen sich sogar mal die Mühe, das Frontschwein wieder auf die Beine zu stellen, wenn der Boss ihn mal wieder umgekloppt hat. Normalerweise ist das immer umgekehrt der Fall, höhö. Absoluter Pluspunkt.
Zuguterletzt greifen die Helden-Attribute und die Ausrüstung ziemlich stark ineinander. Im Gegensatz zu einem Mass Effect darf man in Dungeon Siege herrlich viel Zeit damit verbringen, Ausrüstung und Spielwerte zu managen. Und je nach angelegter Ausrüstung kann sich der Charakter komplett umkrempeln. Von der im Zwei-Schlag-Rhythmus kritische Treffer austeilenden Glaskanone bis hin zum unkaputtbaren Hitpointmonster kann man durch cleveres Jonglieren mit Brustpanzern, Armschienen usw jedem Spielstil gerecht werden. Und das Schönste daran - viel komfortabler gehts eigentlich nicht, denn jedes Ausrüstungsteil wird gleich schön deutlich mit dem derzeit angelegten vergleichen, was bei der Statistikflut auch dringend nötig ist. Aber was dem Spiel bei den Spezialangriffen an Tiefe fehlt, macht es hier doppelt und dreifach wett.
Und dann hätten wir noch die Erzählweise. Ich glaube, die ersten zehn Minuten Dungeon Siege III haben mehr Story und Text als das ganze Spiel Torchlight. Es gibt ein “richtiges” Dialogsystem mit Multiple-Choice-Auswahlen - man könnte fast meinen, Obsidian hätten hier ein wenig versucht, ein “klassisches” RPG aus diesem Hack’n'Slasher zu machen. Wer will, kann die Gespräche üblicherweise mit einem oder zwei Klicks durchschalten, aber ich ertappe mich immer wieder dabei, mich durch alle Optionen zu klicken. In Verbindung mit den reichlich vorhandenen Schriftstücken, über die man bei seinen Loot-Streifzüen findet, setzt sich immer mehr eine kohärente Spielwelt zusammen, die einen noch erheblich tiefer ins Spiel reinsaugt. Oft genug findet man beim Stöbern in Schriftstücken Hinweise darauf, was einen oder zwei Dungeons weiter auf einen wartet oder man findet sogar Nebenquests in Bücherregalen (ist mir sonst auch nur bisher in Dragon Age einmal passiert).
Ach ja, und ein kleines Moralsystem gibt’s auch noch. Die Auswirkungen sind natürlich nicht längst so weitreichend wie in einem Mass Effect, aber man kann trotzdem eine persönliche Note ins Spiel einbringen und fühlt sich nicht - wie in vielen JRPGs - als teilhabender Zuschauer. Man kann eigentlich bei jedem Quest mindestens einen Parameter beeinflussen - bin ich jetzt gierig und nehme der Bauersfrau, deren Mann ich grade aus einer monsterverseuchten Höhle gerettet habe, auch noch ihre Ersparnisse ab? Oder bin ich tatsächlich ein strahlender Held und ziehe, nur um ein “Dankeschön” reicher, meines Weges? Töte ich diesen Endboss jetzt permanent? Oder lasse ich ihn ziehen, weil doch alles ein großes Mißverständnis ist? Meist belaufen sich die Auswirkungen “nur” auf ein paar Items oder etwas mehr Erfahrung, aber ein nettes Extra ist es allemal.
Um mal langsam zu Potte zu kommen: Dungeon Siege gelingt etwas, was einem super-ambitionierten Mammutprojekt wie Sacred 2 nicht gelungen ist. Es zieht einen in seinen Bann. Das Gesamtergebnis ist (im Singleplayer) einfach größer als die Summe der Zutaten. Das flüssige Kampfsystem, die schöne Spielwelt und die stetig hereinkommenden Schulterklopfer in Form von neuer Ausrüstung, Erfahrung und Gold harmonieren einfach. Spielspaß läßt sich tatsächlich nicht quantifizieren, denn subjektiv finde ich den aktuellen Metacritic-Score von 72 kaum gerechtfertigt. OK, es ist jetzt nicht Glück in Scheiben, aber eine rundum angenehme Spielerfahrung. Und nach der massiven Enttäuschung, die Brink gewesen ist, angenehmer Balsam auf der Seele.