Von Zockern und Hamstern
- May 29th, 2011
- Write comment
Eine Sache scheint der homo ludens - der videospielende Mensch - mit dem gemeinen Goldhamster gemein zu haben. Er sammelt gerne. Und damit meine ich jetzt nicht Spiele an sich, sondern Punkte. Anders kann ich mir nicht erklären, daß sowohl das Trophäen-/Gamerscore-System so anschlägt, und daß Spiele mit Level-/Rang-/Stufensystemen so massiv einschlagen.
Wir erinnern uns: Das typische Level-System stammt aus der Zeit der Pen&Paper-Rollenspiele (wir reden hier von D&D, z.B. ). Die Stärke des Helden wuchs, indem er Monster erschlug (oder andere Aufgaben löste) und dafür neben Gold und Ausrüstung eben noch eine andere Belohnung, die Erfahrungspunkte eingestrichen hat. Sammle genug Erfahrungspunkte, dann steigst du im Level auf, bekommst mehr Lebenspunkte, bessere Spielwerte etc.
Klar, solange es Computerspiele gibt, gibt es auch Umsetzungen von Rollenspielen, die grob nach dem gleichen Muster verlaufen. Interessant wurde es durch Kriegsspiele, die für erledigte Missionen oder getötete Feinde Beförderungen ausgegeben haben.
Schneller Vorlauf ins Jahr 2007. Die “Call Of Duty”-Serie, bisher durch mehr oder minder filmreif inszenierte Weltkriegsshooter bekannt, liefert mit “Modern Warfare” einen bedeutenden Meilenstein sowohl für die Serie, als auch für Videospiele im Generellen aufs Parkett. Nicht nur, daß das Setting aus den historischen Schlachtfeldern des Zweiten Weltkriegs in die nahe, fiktionale Zukunft verlegt und mit extrem viel Hurra-Patriotismus angereichert wird, nein, das größere Beben findet im Multiplayer statt. Man bekommt dort nämlich nicht alles auf einmal zu sehen, wie es früher der Fall war, sondern muß sich durchs Einsammeln von Erfahrungspunkten hochleveln, um Zugriff auf neue Waffen, Fähigkeiten, Spielmodi etc. etc. zu bekommen.
Wie wir wissen, hat sich Modern Warfare wie bekloppt verkauft, und zuerst vereinzelt, dann aber in immer rauheren Mengen tauchen plötzlich Spiele auf, in denen entweder im Multiplayer oder sogar im Singleplayer ein XP-System den Spielfortschritt mitbestimmt. Seien es jetzt gewisse Teile des immer weiter wuchernden Tom-Clancy-Universums (Rainbow Six Vegas 2, die H.A.W.X-Teile, das letzte Splinter-Cell, EndWar) von Ubisoft, die “Need For Speed”-Reboots Shift 1, 2 und Hot Pursuit von EA oder die Activision-eigenen Spiele “Blur” und “Transformers - War For Cybertron”. Und natürlich Halo Reach. So ziemlich überall darf man jetzt Erfahrung sammeln und hochleveln.
Funktioniert das in den obengenannten Spielen noch mehr oder minder gut, gibt’s allerdings auch Spiele, in denen ein Levelsystem so nötig ist wie ein Pickel.
Spontan fallen mir da “Dirt 2″ von Codemasters, “R.U.S.E.” von Ubisoft oder - of all things - “Bejewelled Blitz Live” von PopCap ein. Bei Dirt 2 waren sich die Designer wohl selbst nicht sicher, was sie mit dem XP-System machen wollten, denn man bekommt zwar Zugriff auf neue Rennklassen ab einem gewissen XP-Level, aber viele Sonder-Events werden nur durch das klassische Gewinnen von Rennen freigeschaltet.
“R.U.S.E.” von Ubisoft ist ein wirklich nettes Echtzeitstrategiespiel, in dem es wirklich um große Strategie anstelle von Highspeed-Micromanagement geht. Man kann sich wunderbar darauf konzentrieren, seine Einheitenverbände über die Karte zu scheuchen, ohne dauernd irgendwelche Spezialfähigkeiten anzuklicken oder einen Tankrush nach dem nächsten zu inszenieren. Aber das nur am Rande. Für jede Aktion in R.U.S.E. gibt’s Erfahrungspunkte, nebst dem obligatorischen Balken, der am Ende der Mission vollgepumpt wird. Nur: Wozu? Man levelt zwar fröhlich vor sich hin, aber das hat absolut keine Auswirkung. Es gibt zwar einen Erfolg für Level 100, aber ohne XP hätte das Spiel ebensogut funktioniert.
Tja, und etwas ähnliches ist bei Bejewelled Blitz der Fall. Die Punkte, die man in den Puzzles erzielt, werden gesammelt und 1:1 in “Erfahrung” umgemünzt, aber auch hier sammelt man um des Sammelns willen, spielerischen Mehrwert bietet das Ganze nicht.
Und als Beweisstück D habe ich da noch Brink anzubieten. Das Spiel verzichtet komplett auf eine erzählende Struktur, man spielt eigentlich nur einen Multiplayer-Modus, und wenn man die 16 Missionen durch hat, hat man eigentlich schon alles gesehen. Aber die Entwickler sind natürlich clever und machen sich den Hamstertrieb des Zockers zunutze, denn im Gegensatz zum indirekten Vorgänger “Quake Wars”, in dem man in jedem neuen Match als Rekrut anfängt, gibt’s hier - erraten- ein persistentes Level-System. Für jeden Huster gibt’s XP, man levelt hoch, bekommt Zugriff auf neue Fähigkeiten - und das ist dann der Wiederspielwert. Nicht, daß es keinen Spaß machen würde, aber es wirkt doch reichlich dünn.
Und wenn man sich noch die Gameplay-Trailer für Dead Island anguckt, dann frage ich mich wirklich, was die Designer schlechtes gekifft haben. Zombie-Horror mit fröhlich aufploppenden XP-Benachrichtigungen? Geht’s noch? Warum nicht gleich eine Big Band aufstellen, die jede Bewegung mit einem Tusch untermalt? Viel heftiger ist die Zerstörung der Immersion in die Spielwelt nicht.
Ich für meinen Teil könnte komplett auf diesen ganzen Level-Wahn verzichten. Sich erst mühselig die ganzen Goodies im Multiplayer erspielen? Blur zeigt, wie nervig das sein kann. Wenn eine Truppe von Leuten unterschiedlich oft spielt, hat der Vielspieler einen fetten Fuhrpark, während der Gelegenheitszocker noch mit seinem Anfangs-Schnauferl rumgurken muss - denn neue Autos gibt’s nämlich nur nach bestimmten Level-Ups und auch dann natürlich nur, wenn man die Rangliste spielt. Freundschaftliche Rennen geben keine XP. Blödsinn.
Und was nützt die Anpaßbarkeit eines Crysis 2, wenn man als Level-1-Charakter nur ein laufendes Ziel gegen die ganzen aufgebrezelten High-Levels ist? Schließlich muß man sich die ganzen interessanten Upgrades erstmal freispielen.
Das wäre genau so, als wenn man bei Unreal Tournament nur die Handgun bekommt, und das restliche Arsenal erst freispielen soll. Wo ist denn da der Spaß? Und darum geht es ja am Ende des Tages beim (Video)Spielen - um Entspannung und Spaß. Und wie jeder MMO-Zocker weiß: Levels grinden ist Arbeit. Und Arbeit != Spaß.
Und hier für alle, die nicht genug hamstern können:
Progress Quest!
Edith: Mir ist bewußt, das die obige Liste an Spielen alles andere als komplett ist. Natürlich hatte jedes CoD seit Modern Warfare eine weitere Iteration des XP-Systems an Bord, und auch das letzte Command & Conquer hatte einen XP-Balken an Bord - und wehe dem Spieler, der beim Level-Up nicht die richtigen Einheiten freigeschaltet hat. Verskillen in einem Echtzeitstrategiespiel? Jaha, das treibt wirklich komische Blüten.
Und Edith, die zweite: Ausgenommen vom obigen Rant sind natürlich Rollenspiele aller Art, die dürfen mich gerne weiter nach XP hecheln lassen, solange ich dafür in haufenweise Charakterwerten buddeln darf. Aber das Streamlining in Spielen wird Thema eines neuen Rants.