oder: Warum ich Dragon Quest IX (DS) vergöttere.
Traurig, aber wahr. Final Fantasy hat alles gesagt. Außer noch mehr Grafikbombast, noch mehr Drama hat diese einstmal Referenzcharakter besitzende Serie eigentlich nix mehr zu bieten. Bestes Beispiel ist FF 13. Zwanzig Stunden lang Tunnelblick, danach dann ein ödes “Laufe hierhin, töte Monster”-Quest nach dem anderen, danach zurück zum Tunnelblick. Alles natürlich in XXL-Eyecandy. Aber spielerisch so sehr auf das Kampfsystem reduziert, daß das selige “Lord Of The Rings: Third Age” schon fast wie Oblivion rüberkommt.
Damit war mein Hunger nach neuen JRPGs erstmal gestillt und ich hab mich auf Geballer und Raserei vertröstet. Und plötzlich bekomme ich aus allen möglichen Richtungen Empfehlungen, mir doch bitte mal “Dragon Quest IX: Sentinels Of The Starry Sky” (in Deutschland “Hüter des Himmels”) anzugucken, weil das doch mit einer ganzen Latte JRPG-Klischess bricht. Und das von einer Serie, die im Grunde das “klassische” JRPG begründet hat? Zweifel, Zweifel. Aber ich wurde tatsächlich eines Besseren belehrt.
Das fängt schon damit an, daß man seinen Helden selbst erstellen darf. Klar, die optischen Anpassungsmöglichkeiten beschränken sich auf den japanophilen Knuddel-Kopffüßler-Look mit Stachelfrisur oder Emo-Haarschnitt, aber immerhin HAT man diese Wahlmöglichkeiten. Zum anderen bekommt man nicht irgendwelche drama-beladenen Sidekicks an die Hand, sondern darf seine Party ebenfalls nach Lust und Laune zusammenstellen. Drittens legt DQ9 ein dermaßen zügiges Erzähltempo an den Tag, man hat in den ersten drei Stunden schon mehr Plot hinter sich als in den ersten zwölf Stunden von FFXIII. Und trotzdem wirkt die Geschichte nicht übermäßig komprimiert oder hastig runtergespült, sie ist halt clever in kleine Episoden verpackt, die man auch mal an einem Abend durch hat.
Die große Hauptstory dreht sich um den Spielercharakter, einen Engel, dessen Job eigentlich nur das Beschützen eines kleinen, verschlafenen Dorfes ist. Die Engel machen das in DQ9 allerdings nicht aus uneigennütziger Nächstenliebe, sondern weil jede gute Tat ihrerseits mit kristallisierter Dankbarkeit belohnt wird, die die Engel wiederum brauchen, um Yggdrasil, den Weltenbaum zu düngen, in der Hoffnung, daß besagter Baum irgendwann Früchte tragen und sie dadurch zurück an die Seite des Allmächtigen bringen wird. Der Hauptcharakter bringt den letzten Rest Dankbarkeit mit, der Baum erblüht und trägt Früchte - und das Chaos beginnt. Im Laufe der folgenden Handlungsepisoden versucht man nun, zuerst wieder zurück nach Hause zu kommen (da man ziemlich unsanft in der Welt der Sterblichen gestrandet ist) und später die verlorenen Früchte Yggdrasils einzusammeln, was sich - RPG-typisch - natürlich als erheblich schwieriger erweist als ursprünglich gedacht. Die bisher erlebten Mini-Episoden sind allesamt kompetent erzählt und schwanken zwischen RPG-Standardkost und wirklich zum Nachdenken anregend.
Von der generellen Struktur und den Mechaniken erfindet DQ9 das Rollenspiel-Rad nicht neu, ganz im Gegenteil. Es beschränkt sich fast schon auf die absoluten Basics. Die Abenteuer folgen ziemlich religiös dem Stadt-Oberwelt-Dungeon-Stadt-Rhythmus, die Kampffrequenz ist sehr hoch, aber dafür sind die Kämpfe mit oftmals weniger als einer Minute schnell abgefrühstückt. Der Schwierigkeitsgrad ist angenehm ausgewogen, wenn man wie ich zu den notorischen Powerlevellern gehört, sogar schon fast leicht, und die Bosskämpfe fordern mit taktischem Tiefgang. Und als ob das nicht schon genug wäre, bietet das Spiel neben der Hauptstory (an der ich immer noch knabbere) tonnenweise Sachen zum Nebenher-Erledigen: Seien es kleine Sammelaufgaben, versteckte Dungeons für richtig gute Extra-Ausrüstung, neue Spielerklassen, die man durch wahnwitzige Kampf-Konstellationen freischaltet oder einfach nur das Erkunden der riesigen Spielwelt oder die ewige Jagd nach Geld & Gear. Egal ob man jetzt nur 10 Minuten in der U-Bahn hat oder sich für drei, vier Stunden am Stück im Spiel versenken will - DQ9 erlaubt beides.
Im Gegensatz zum aktuellen Trend, den Statistik-Anteil in Rollenspielen immer geringer werden zu lassen, bietet Dragon Quest IX ein vollwertiges Attributs-, Fertigkeits- und Jobsystem. Charaktere haben eine ganze Handvoll Basis-Attribute wie Stärke, Agilität, Fingerfertigkeit und Zähigkeit, zudem verfügt jede Charakterklasse über fünf Fertigkeiten, vier davon für Waffen und eine für die Klassenfähigkeiten. Der Krieger z.B. kann sein Können im Umgang mit Schwertern, Speeren, Messern und Schilden steigern und besitzt dazu noch die Mut-Fertigkeit, die ihm Zugriff auf Kampftalente erlaubt, die seine Partykollegen beschützt. Und wenn man die Nase voll von seiner Basisklasse hat, stößt man schon recht bald im Spiel auf eine Questlinie, an deren Ende man beliebig die Jobs seiner Helden wechseln kann. Fans von zahlengenauem Aufbauen ihrer Charaktere finden hier definitiv ihre Erfüllung, denn jedes Ausrüstungsteil bietet Modifikationen zu den Attributen, und auch das fröhliche Klassenwechseln erlaubt spannende Veränderungen an den Charakterwerten und Fähigkeitslisten.
Technisch reißt DQ9 keine großartigen Bäume aus. Die 3D-Grafik ist bunt und ansehnlich, die Charaktere mit ihrem schon fast retro-mäßigen Kopffüßler-Look sind knuddelig, und die Städte und Dungeons haben alle ihre eigene Identität. Besonders hervorzuheben ist die jederzeit sichtbare Ausrüstung - ein Feature, welches ich bei Final Fantasy und Konsorten stets vermißt habe. Egal ob Blue Jeans und T-Shirt oder voller Plattenpanzer - man sieht jederzeit, was die Charaktere am Leib haben. Dadurch wird das Beute sammeln noch einen Tick suchtfördernder, da man nicht nur nach den Statistiken, sondern auch nach ästhetischen Gesichtspunkten sammeln kann. Sound-seitig bietet DQ9 zum einen schon fast waffenscheinpfllichtigt ohrwurmlastige Melodien, auf der anderen Seite sind die Geräusche bewußt minimalistisch und retro gehalten. Anstelle HD-ophiler Kampfgeräusche gibt’s ein simples “Whack” bei Treffern, und auch der Rest der Soundkulisse mutet sehr 8-bittig an, was im Tandem mit der schön orchestrierten Musik eine ganz eigene Mischung schafft.
Ein ganz besonderes Leckerli ist übrigens die englische Lokalisation. Ein Wortspiel reiht sich ans andere, die Monsternamen sind Grinsegaranten. Ein Wolfsmonster “Bewarewolf” zu nennen, hat schon was. Und diese Art von Humor zieht sich wie ein roter Faden durch’s ganze Spiel. Im Großen und Ganzen also ein Rundum-Sorglos-Paket für Rollenspiel-Fans und für mich ganz klar die Rollenspiel-Überraschung des Jahres. Ich bin vor allem verdutzt, wie “westlich” sich das Spiel anfühlt, immerhin gilt die Dragon-Quest-Serie als Urvater der japanischen Rollenspiele, auf den sich selbst Serien wie Final Fantasy berufen. Umso schöner, daß der Urvater puristischer und spielorientierter ist als seine Nachfahren.